Ich bin gerade am Fuße des Athabasca-Gletschers im Besucherzentrum, während draußen mein erster kanadischer Schnee vom Himmel
fällt. Morgen wird es schön haben sie gesagt, morgen wird es warm. Ich überwinde mich, die zahllosen plärrenden, Plakate fotografierenden Touristen an diesem hoffnungslos überlaufenden Ort
auszublenden und laufe geduckt durch die Räumlichkeiten, um unter skeptischen Blicken bei allen Leuten unter die Tische zu glotzen. Alltag eines Bloggers, denn ohne Strom nix los. Zeit, von den
letzten Tagen im Land des Ahornblatts zu berichten. Eigentlich wollte ich ja nur fix in den Norden fahren, um dort Arbeit zu finden, doch mittlerweile bin ich schon wieder fast 2 Wochen
unterwegs…
In Osoyoos habe ich morgens alle nochmal schnell gedrückt. Musik an, Motor an, kurz gehupt und ab ging es Richtung Kelowna, wo ich eine schlafende Anna in der Lobby des Samesun-Hostels fand.
Guten Morgen, Roadtrip gefällig? Die junge Deutsche wollte sich mir für den Weg gen Norden anschließen. Nicht um dort zu arbeiten, aber um mal was vom Land zu sehen - denn ohne Auto ist das hier
nicht so einfach! Nach kurzem Einkauf ging es schließlich los und wir fuhren bis kurz vor Revelstoke, wo wir am Fluss übernachteten. Morgens sprach uns dort ein älteres kanadisches Ehepaar an,
die selber gerade durchs Land reisen, und der sympathische Mann zeigte uns seine wirklich beeindruckenden Zeichnungen. Wir durften uns eine aussuchen und unsere deutsche Adresse hinterlassen -
mal sehen was da noch ankommt!
In Revelstoke beschlossen wir schließlich ganz spontan, einen Schlenker Richtung Süden zu fahren. Kostenlose Fähren und kleinere
Straßen führen dort durch das weniger bekannte Gebiet der „Kootenay“. Wir übernachteten an einem malerischen See, wo wir morgens ein altes Kanu entdeckten. Das spröde Boot lag dort offenbar schon
etwas länger und hatte seine neue Bestimmung darin gefunden, einer Gruppe Pilzen Schatten zu spenden - für eine kleine Rundfahrt auf dem See hat es aber noch gerade so gereicht. Wir verliefen uns
anschließend auf dem Weg zu einem Wasserfall im Wald, quälten Blubber über unbefestigte Straßen, schwitzten in einer zum Hotpool umgebauten Höhle und übernachteten an irgendeiner kleinen
Waldlichtung neben der Straße, wo uns mindestens zwei Augenpaare beim Kochen beobachteten. Umso gruseliger, wenn man kein Bärenspray dabei hat!
Im idyllischen Örtchen Kaslo wollten wir noch shoppen gehen, mussten den Plan aber schnell wieder verwerfen. Wer in Kanada in einem kleinen Dorfsupermarkt mehr als ein Brot kaufen will, muss wohl eine Hypothek aufnehmen. Wir ließen Cranbrook links rechts liegen und machten uns auf den Weg zu den Lussier Hot Springs - heiße Quellen mitten im Nirgendwo. Nach 30km Offroadpiste entdeckten wir schließlich ein paar Autos neben einer Absperrung. Hier muss es sein! Die Pools waren offenbar gesperrt, da momentan ein Weg den Hang hinab gebaut wird. Der Metallzaun verlor das Battle gegen unsere Abenteuerlust und wir kraxelten den Hang hinab. Was für ein toller Ort! Mitten in der kanadischen Natur am Fluss in heißen Quellen baden - es könnte echt schlimmer sein.
Es dämmerte schließlich und die ersten Sterne gesellten sich zum Mondlicht. Irgendjemand hatte Teelichter mitgebracht, was die Atmosphäre perfekt machte. Nach bestimmt zwei Stunden hatten wir den
Ort für uns alleine, und nur das Plätschern des Quellwassers lag in der Luft. Und ein Schnaufen. „Da ist jemand“ sagte Anna. Ich stand langsam auf, und versuchte in der Dunkelheit etwas zu
erkennen. War noch jemand gekommen? Wir hatten gar kein Auto gehört. Etwa 10 Meter von mir entfernt sah ich schließlich etwas durch den kalten Fluss kriechen, und ein erneutes, tiefes Schnaufen
war zu hören. Es traf mich wie der Schlag. „Das ist ein Bär“ sagte ich, ohne darüber nachzudenken. Ich war wie ausgewechselt - innerhalb weniger Sekunden wurde aus totaler Entspannung die Furcht
ums Überleben. „Ich hab Angst“ sagte Anna, während ich wie besessen in meinem Rucksack nach der Taschenlampe suchte. Rückblickend war das wahrscheinlich nicht die beste Entscheidung, aber bei
einem aggressiven Grizzly wäre sowieso alles egal gewesen. Wie sagte ein Kanadier - um einem Bären zu entkommen muss man nicht schnell laufen können - man muss nur schneller laufen können als der
Andere. Das Schnaufen wurde lauter und ein Grunzen folgte. Anna krallte sich in meinem linken Bein fest. Ich fand schließlich meine kleine Taschenlampe und leuchtete vorsichtig auf den Fluss: Ein
alter Mann kroch auf allen Vieren durchs Wasser und wusch sein Gesicht. Ernsthaft? Ich konnte meinen eigenen Puls im Gesicht fühlen. „You scared the shit out of me“ begrüßte ich den Alten. „Mir
ist nicht gut“ meldete sich Anna schließlich wieder zu Wort. Sie hatte offenbar einen Adrenalinschock - ein paar Sekunden später musste ich sie auffangen. Meine Bucketlist wird immer
kürzer!
Unser Bad am nächsten Morgen war dann nicht ganz so spannend, aber das ging in Ordnung. Weiter nördlich stoppten wir im Örtchen Radium, wo zufällig gerade eine große Autoshow war. Ich konnte mich
kaum an den aufgebrezelten Rat Rods und Muscle Cars satt sehen, und die eher gelangweilte Anna musste lernen, was eine Harley ist. Auf einer unbefestigten Straße ließen wir einen ewig langen
Güterzug passieren, ehe wir auf einem nahen Berg einen idyllischen Platz für die Nacht fanden. Was riecht hier eigentlich so komisch im Auto? Das könnte der Fisch sein, den mir der kanadische Opa
am See vor 3 Tagen geschenkt hat… Anna mag kein Fisch und ich bin allergisch gegen Forellen, aber das war dem Opa egal. Der Fisch flog in hohem Bogen in den nahen Wald. Soll er doch kommen, der
böse Bär. Oder der komische schnaufende Mann!
Weiter ging es schließlich nach Banff, wohl einer der touristischsten Orte Kanadas. Hier machten wir mal zwei Tage Pause vom Roadtrip und schnorrten die Räumlichkeiten eines großen Hostels. In
Banff hatte ich außerdem ein Date, zu dem ich eine unwiderstehliche gelbe Plastikrose mitbringen musste. Zum Feiern ging es in einen Club im Ort, und am nächsten Tag hätte ich problemlos
ungeschminkt in einem Zombiefilm mitspielen können. Ich werd zu alt für den Scheiss! Mit Anita und Henrik ging es schließlich zu viert nach Lake Louise, wo wir an kitschig blauen Seen ein paar
Fotosessions machten. Rocky Mountains, wie man sie von Postkarten kennt!
Anita buchte sich noch eine Nacht im Hostel ein, wo wir Abends eine Partie Billard gegen typisch deutsche IchhabSockeninmeinenSandalen-Menschen spielten. Ich weiß nicht was an dem Abend mit mir
nicht gestimmt hat, aber ich hab im dritten Spiel innerhalb von zwei Zügen den gesamten Tisch abgeräumt. Ich, der grottigste Billardspieler der nördlichen Hemisphäre! Der arme Kerl war nur einmal
dran und hatte keine Kugel drin. Das hätte ich filmen können und mir würde es zuhause trotzdem keiner glauben.
Vorgestern fuhren wir dann zu dritt in den Yoho Nationalpark, wo wir nach einer engen Straße zu einem Wasserfall liefen. Ich habe in meinem Leben ja schon viel zu viele Wasserfälle gesehen, aber
die Takakkaw Falls sind wirklich beeindruckend. Natürlich konnte ich auch nicht widerstehen, im Flussbett über die Felsen zu klettern. Im Anschluss ging es noch an den Emerald Lake, wo wir aber
die meiste Zeit damit verbrachten, einem kleinen Eichhörnchen beim Eichhörnchen sein zuzuschauen. Wühlen, nagen, schnuppern, buddeln. Faszinierend und hach wie knuffig! Bei der Fahrt wurde ich
mal wieder paranoid, weil der Motor komische Pfeifgeräusche machte. Aber die Sorge war unbegründet: Je nach Drehzahl kommt bei Blubber ein Pfeifen aus den Boxen, wenn man ein Handy ans Radio
anschließt - da muss man erstmal drauf kommen. Auf dem Rückweg sahen wir noch die bekannte „Natural Bridge“, die aber mal wieder viel zu schlecht eingezäunt war. Abends gab es Kakao und Würstchen
vom Lagerfeuer, nachdem wir uns von Anita verabschieden mussten. Und das darf einem nach zwei ganzen Tagen ruhig schon etwas schwer fallen!
Bei bestem Wetter ging es gestern weiter gen Norden, und die Rockies zeigten sich von ihrer schönsten Seite. Knallblaue Seen und gelb-gründe Nadelwälder, die beidseitig vom schroffen Felsmassiv
eingefasst in der Sonne leuchteten. So kann es morgen ruhig wieder aussehen!
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