Gutsten Tach werte Leserschaft und herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe von „Ich bin da wo du nicht bist und erzähl dir was drüber“ - diesmal aus den Tiefen des kanadischen Buschlands. Ich sitze grade in meinem Zimmer im Camp und habe mal wieder nix zu tun, da meine Schicht erneut einen Tag nach hinten verschoben wurde. Arbeitstechnisch passiert hier bisher immer das exakte Gegenteil von dem, was einem gesagt wird. Es stört mich erstaunlich wenig, aber ist doch irgendwie interessant. Wenn es angeblich Arbeit gibt, gibt es keine und umgekehrt. Die Unzuverlässigkeit ist dabei schon so konstant, dass sie wieder zuverlässig ist. Natürlich ergibt das Sinn. Beim Upload meines letzten Eintrags um 7 Uhr morgens gabs noch lecker Energydrink, damit ich wieder in einen normalen Schlafrhythmus komme. 20 Minuten später klingelte dann mein Handy. Flo, Arbeit, heute Nacht!
Der Kollege, der mich ins Camp gefahren hat, war das perfekte Beispiel eines kanadischen „Oilfield-Douchebags“. Arrogant, prollig und sozial eher eingeschränkt. Keine 20 und für Haus und Truck bereits hoch verschuldet. Kurzhaarschnitt und Jacke in Tarnfarben gabs gratis dazu, um das Klischee perfekt zu machen. Beim Tippen aufs Gaspedal oder dem Lauterdrehen der Musik wurde immer erwartungsvoll zum Beifahrer geschielt, in der Hoffnung irgendeine Form der Respektsbekundung zu erhaschen. Da mich 100km/h und grausiger Techno nicht vom Hocker gerissen haben blieb Jimmys Korb aber unberührt und wir wurden keine besten Freunde.
Bei unserer Ankunft im Camp musste dann alles ganz schnell gehen. Mein Supervisor begrüßte mich im Vorbeigehen nur schnell mit „Deine Mutter“, etwas anderes deutsches hat ihm noch Niemand beigebracht. Anschließend wurde ich in einen kleinen Raum geführt und ein älterer Mann hat 10 Minuten lang mit bemerkenswert monotoner Stimme die Sicherheitsregeln des Camps runtergebetet. Unterschreiben hier, unterschreiben da und bitte noch zum Chefkoch gehen und ihm von deiner Lachs-Allergie berichten, damit der dir dann sagt du solltest keinen Lachs essen. Alles klar! Anschließend bekam ich die Schlüsselkarte für mein Zimmer. Korridor E, Zimmer 16.
Ein Camp kann man sich vorstellen wie ein zweckmäßiges Hotel, was mitten im Nirgendwo aus Containern zusammen gebastelt wurde. Angeordnet ist das Ganze wie ein Tausendfüßer, nur dass es keine Füße sind und auch keine Tausend aaaber wir wollen ja jetzt mal nicht so pingelig sein. Der Kopf dieses metaphorischen Wesens ist schließlich die Kantine, wo es rund um die Uhr Snacks und Drinks aller Art und zu Stoßzeiten richtig gutes Essen gibt. Für Unterkunft und Verpflegung ihrer Mitarbeiter bezahlen die jeweiligen Ölfirmen den Camp-Betreibern etwa 250 Dollar täglich. Gegenüber der Kantine ist noch die Rezeption und eine große Umkleidekabine, wo alle Arbeiter ihre Coveralls und Boots lagern und trocknen. Irgendwo am äähm Bauchnabel der Raupe gibt es zudem ein Gym und einen Freizeitraum mit kostenlosen Büchern, Billard, Tischtennis, „Foosball“ und zwei kleinen Kinosälen.
Jeder Arbeiter hat einen privaten, etwa 7m2 großen Raum und ein Duschbad, welches man sich mit einem Zimmernachbarn teilt. Dabei werden immer Nachtschicht und Tagschicht zusammengelegt, sodass man effektiv sein eigenes Bad „on suite“ hat. Nur sehr alte Camps haben wohl noch Gemeinschaftsbäder auf dem Korridor. Zum Zimmer gehören ein normales Bett, ein kleiner Schreibtisch, Kleiderschrank, Waschbecken, Fernseher mit SAT-Receiver, außerdem ein großes Fenster und Klimaautomatik.
Bisher war ich ausschließlich für die Nachtschicht eingeteilt, was ich sehr begrüße. Ich bin ja eh so ein Nachtmensch und die „Arbeit“ ist wohl noch entspannter als tagsüber, auch wenn das kaum möglich ist. Schichtwechsel ist um 18:30 Uhr, und ich löse mit einem Kollegen die zwei Jungs bei der „Booster pump“ an Kilometer 16 ab. Die Pumpe dort schiebt angereichertes Wasser von einem Speicherbecken kommend in Richtung Frack-site. Die folgenden 12 Stunden wird dann hart gearbeitet. Zu unseren anspruchsvollen Aufgaben gehören Lesen, Essen, Musik hören und auf dem Handy spielen. Einmal pro Stunde muss einer von uns außerdem kurz aussteigen und ein paar Druckwerte notieren. Gelegentlich wird die Pumpe reguliert oder nachgetankt. Der Job wäre für eine Person schon ein Witz, aber nach zu vielen Zwischenfällen ist der Betreiber kurz davor seine Lizenz zu verlieren und hat alle Positionen doppelt besetzt. Natürlich muss man sich gut verständigen können und im Notfall genau wissen was zu tun ist, doch letztendlich besteht mein Job als Wassertechniker zur Zeit zu 95% daraus, richtig gepflegt abzugammeln.
Die Nacht zum 21. Dezember war dann nochmal ein richtiges Highlight (oller Wortwitz incoming). Es war mit etwa 19 Stunden die längste Nacht im Jahr und mit nur -5° überraschend mild, als meine Handyapp für Sonnenwinde Alarm schlug. Gemeldet war ein KP-Index von 6 - alles über 5,0 ist ein elektromagnetischer Sturm. Und siehe da, wenig später konnte ich zum ersten mal Polarlichter sehen. Zunächst nur ganz unscheinbar, ich stritt mich noch mit meinem sympathischen Kollegen Stephen (mah brother from another mother), der der Überzeugung war es sei lediglich eine Wolke. Als seine Wolke dann aber massiv Party machte und noch all ihre lustigen Wolkenfreunde einlud, musste er klein beigeben. Teilweise war eine komplette Hälfte des Himmels in tanzendes Grün getaucht - einfach nur beeindruckend!
Über Weihnachten wurde ich ganz unerwartet (also erwartet) wieder in die Stadt geschickt. Die Feiertage verbrachte ich schließlich mehr oder weniger alleine im Crew House - wohl ein Opfer was man bringen muss, wenn man als Reisender im Oil Business überwintert. Aber es ist ja hoffentlich nicht mein letztes Weihnachten. Und sowieso, wie sagte Kurt Tocholsky: Die meisten Leute feiern Weihnachten, weil die meisten Leute Weihnachten feiern. Ich konnte mich aber über ein Paket aus der Heimat freuen und habe mir zudem eine neue Kamera gegönnt. Die Bilder kommender Einträge haben also endlich keine Kartoffelqualität mehr.
Mittlerweile bin ich schon wieder im Camp und Pumpe TP-629 freut sich schon tierisch darauf, mir wieder beim Gammeln zuzugucken. Es gibt Hoffnung auf eine volle Schicht (24 Tage am Stück), was
mir ein Plus von etwa 9.000 Dollar in die Reisekasse spülen würde. Das Oil Business ist aber ziemlich am Boden, was ihr bestimmt schon an den billigen Spritpreisen in Deutschland erkannt habt.
Viele erfahrene Kanadier sind hier ohne Arbeit und ich kann echt froh sein, welche zu haben. Also Daumen drücken, dass das noch 2-3 Monate so bleibt! Und Daumen drücken, dass meine Füße nicht
abfallen: Eben gab es einen unerklärlichen Feueralarm, und wir mussten uns ohne Schuhe bei -20° draußen versammeln. Die meisten Zehen haben aber schon wieder eine ganz gesunde Farbe. Haut rein
und rutscht gut für mich mit,
euer Flo
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