Burning Man 2016

Seit drei Tagen schiebe ich diesen Eintrag bereits vor mir her, ob wohl die Ereignisse der vergangenen Woche noch unermüdlich durch meinen Kopf schwirren. Wo fange ich an, wie beschreibe ich das? Mit ein wenig Text und Bildern die wohl verrückteste Woche meines Lebens zu beschreiben ist schlichtweg unmöglich. Es bereitet mir in etwa so viele Schwierigkeiten, wie das Fazit meiner ersten Weltreise zu formulieren. Der Burning Man stand seit Ewigkeiten auf meiner Eimerliste und war bereits für meine grobe Reiseplanung vor 2 Jahren mit ausschlaggebend. Entsprechend viele Texte, Bilder und Videos habe ich zum Thema verschlungen und hatte dennoch rückblickend absolut keine Ahnung, was mich erwartet. Auch dieser Eintrag wird da keine Ausnahme machen. Der Burning man ist einfach nicht vermittelbar.

Alles begann 1986, als sich zunächst 20 Leute an einem Lagerfeuer versammelten und am Ende traditionell einen hölzernen Mann verbrannten. Seitdem wird das Festival Jahr für Jahr größer und auch verrückter, in diesem Jahr bestand „Black Rock City“ aus über 70.000 Menschen und war damit für eine Woche quasi die drittgrößte Stadt in Nevada. Die „Stadt“ entsteht dabei mitten in der Wüste und wird nach dem Event wieder vollständig verschwinden. Es geht um Kunst und Party, Selbstexpressionismus und Toleranz, Gemeinschaftsdenken und Beschenkungen. Trotz knapp 1000 Dollar Grundkosten für 2 Leute ist die Veranstaltung nicht kommerziell - das Geld fließt in Kunstprojekte und in die umständliche Organisation.

Diese Bilder aus dem Internet vermitteln vielleicht einen ganz guten Eindruck: Die Stadt ist unterteilt in Ringe (A bis L), die um die Statue in Uhrzeiten (2 Uhr bis 10 Uhr) unterteilt sind. Der Bereich um die Statue ist die Playa, der Übergang wird Esplanade genannt - alles jenseits des Tempels zwischen 10 und 2 Uhr ist die berüchtigte „Deep Playa“.

Bereits bei der Anfahrt wurde es im Auto so staubig, dass ich die Zahlen auf dem Tacho kaum noch erkennen konnte - der „Playastaub“ ist eine Kategorie für sich. Nach einigen Stunden Stau(b)party konnten wir schließlich unsere hinterlegten Tickets einsammeln und zum Rand des Geländes fahren. Als „Virgins“ mussten wir dort zunächst den Virgin Gong schlagen und einen Staubengel machen. Wir entschieden uns spontan für die rechte Zufahrt und fanden einen tollen Platz irgendwo zwischen H und I bei kurz vor 4 Uhr. Schnell freundeten wir uns mit unseren Nachbarn an und konnten für ein wenig Schatten eine Plane zwischen den Autos spannen. Einmal geparkt dürfen die Fahrzeuge nicht mehr bewegt werden - das gilt natürlich nicht für die vielen hundert „Art cars“, die dort Tag und Nacht unterwegs sind. Fahrende Segelschiffe, Nashörner, Betten, Raumschiffe… die Limits liegen alleine in der Fantasie der Menschen.

 

Tagsüber haben wir meist gechillt oder uns mit unseren gepimpten Fahrrädern durch Black Rock City treiben lassen. Überall gibt es Installationen, Workshops, Essen und Getränke. Grundlegend Alles ist kostenlos und beruht auf dem Prinzip des Geben-und-Nehmen. Jeder trägt auf seine eigene Art und Weise einen Teil zur Gesellschaft bei - ob nun als gelegentlicher Pizzabäcker, Masseur, Entertainer, Dj, Barmann oder freiwilliger Helfer. In Black Rock City wird man nicht zum Essen eingeladen - es wird lediglich erwähnt, dass man kocht - jeder kann selbstverständlich jederzeit überall mitmachen oder dazu stoßen. Für eine Woche wird hier ein utopisches Konstrukt einer perfekten Gesellschaft zelebriert. Die generelle Atmosphäre ist daher unbeschreiblich einladend und herzlich. Mich haben zum Beispiel ein paar Israelis zum Falafel essen eingeladen, kurz darauf bekam ich eine Fingerpuppe von einer Amerikanerin geschenkt, trank selbst gemachten Lachsvodka und fand mich wenig später mit zwei Österreichern ins Gespräch vertieft in einer Hängematte wieder. Vor allem wenn man alleine unterwegs ist und sich einfach mal treiben lässt gibt es überall „random encounter“, es ist eigentlich unmöglich den Abend vorauszusagen oder gar zu planen. Es steht aber natürlich jedem völlig frei, was und wo er machen möchte.
Auch die Wahl der Bekleidung kennt keine Grenzen. Ob Hasenkostüm mit Pilotenbrille, in High Heels und Ledersacko, ob in Alltagskleidung oder völlig nackt - beim Burning man ist unnormal normal, niemand wird komisch angeschaut. Empfehlenswert sind lediglich ein Schutztuch und eine Schibrille - ich werde wohl in meinem Leben nicht vergessen, wie am zweiten Tag plötzlich eine gewaltige Staubwelle über das Festival gerollt ist.

Dieselbe Freizügigkeit gilt übrigens auch für die Art der Aktivitäten, gesetzliche Limits oder gesellschaftliche Konventionen gibt es nicht. Es sind harte Drogen im Umlauf und viele Menschen leben in Black Rock City ihr „wahres Ich“ aus oder wollen ihren Horizont erweitern. Bereits am ersten Abend zum Beispiel bekam ich Koks unter die Nase gehalten und wurde ins Orgienzelt eingeladen. Ob man sich darauf einlässt bleibt aber jedem selbst überlassen, das Festival ist generell ein sicherer Ort und vereinzelt sieht man sogar Familien mit Kindern. Und dass der Burning man auch ohne harte Drogen eine unvergleichliche Erfahrung ist steht sowieso außer Frage.

Der Sonnenuntergang ist immer ein besonderer Moment auf der Playa. Die Temperatur ist perfekt und alles wird in ein magisches Licht getaucht, die feinen Staubschwaden tanzen in gold-orange. Irgendwie herrscht Abbruchstimmung und Aufbruchstimmung zugleich. Es ist der Übergang zwischen zwei völlig verschiedenen Welten, der nochmal seinen ganz eigenen Reiz hat.

Bei Nacht entfaltet das Festival schließlich seine volle Kraft. Klingt komisch, ist aber so. In den ersten Tagen haben wir unseren Mund vor Staunen nicht mehr zugekriegt. Was bei Nacht auf der Playa abgeht ist einfach nur heftig - 70.000 Menschen, die hemmungslos Party machen. Überall gibt es Lichter, Farben und Feuer und mächtiger Bass rollt aus allen Richtungen gleichzeitig auf einen zu. Nie zuvor habe ich derartig gute Elektromusik an gleich so vielen verschiedenen Ecken gehört, sogar Daft Punk war eines Abends am Start ;) Einige der Art Cars sind mit DJ und gnadenloser Soundtechnik ausgestattet und ziehen einen Schwarm bunt leuchtender Radfahrer hinter sich her, um dann irgendwo in der Deep Playa Halt zu machen und abzugehen.

In einer Nacht zum Beispiel tanzte ich bis zum Sonnenaufgang zu den zarten melodischen Klängen der Dancetronauts, die irgendwo in der Playa ein Fleckchen Sand zwischen einer Art Aussichtsturm, drei hölzernen Walen, einem fahrenden dreistöckigen Spielplatz und einem Feuer spuckenden LED-Heißluftballon zu ihrem temporären Zuhause deklariert hatten. Der Spielplatzbus hatte übrigens eine Drehscheibe im zweiten Stock - überflüssig zu erwähnen, dass ich dem einen oder anderen Besucher eine eindrucksvolle Nahtoderfahrung vermitteln konnte.

In einer anderen Nacht folgte ich einer Australierin auf ein fahrendes (echtes) Schiff, welches uns unter exzessivem Nutzen des mächtigen Schiffshorns zu beleuchteten Portalen und einer fahrenden, gut besetzten Stadiontribüne brachte. Wenig später hing ich auf der Esplanade in provisorischen Netzen in etwa 5m Höhe und lieferte mir eine extrem staubige Kissenschlacht mit 20 anderen Verrückten - genau dort, wo wenige Stunden zuvor noch demonstrativ tantrisches Yoga zelebriert wurde. In der Ferne wird wieder eine der Kunstinstallationen abgebrannt und Leute fliehen vor den Funkentornados. Ein böse schwankender Drache aus Bronze mit seperat fahrendem Drachenbaby brachte mich schließlich wieder hinaus in die Playa, wo der berühmte Kraken El Pulpo Mechanico an mir vorbei kroch. Die Liste könnte ewig so weiter gehen.

Nach insgesamt etwa 5 Stunden Schlaf in den ersten 4 Tagen war ich am Donnerstag dann relativ „müde“ (ich werd’ zu alt für den Scheiss!) und musste den Tag quasi aussetzen. Freitag schließlich war der Höhepunkt des Festivals - der „burn“. Zu diesem Anlass versammelten sich all die Art Cars und Menschen, die sich normalerweise in der Wüste verteilen, um die Statue in der zentralen Playa. Was dort an akustischen und visuellen Reizen in die Sinnesnerven prügelt ist schlichtweg nicht in Worte zu fassen. All die vielen wilden Parties, die ich in meinem kommenden Leben noch haben werde (oh ja klar doch!) werden nun im direkten Vergleich wie ein Termin beim Steuerberater wirken. 

Das war mein Bericht zum Burning Man. Ich habe ihn bewusst allgemein gehalten - was auf der Playa passiert, bleibt auf der Playa. Zudem sind die Erlebnisse oft derartig surreal, dass eine authentische Umschreibung utopisch ist. Wie gesagt, der Burning man ist nicht vermittelbar. Aber vielleicht konnte ich euch ja immerhin vermitteln, warum er nicht vermittelbar ist!? Wer beim Lesen nur verstört mit dem Kopf geschüttelt hat und and staubige Hippies denkt, die für eine Woche der Realität entfliehen und sich benehmen wie Sau - der hat prinzipiell nicht unrecht, hat aber den Geist des „Burns“ nicht verstanden. Alle anderen haben vielleicht eine ganz grobe Vorstellung, was sie auf dem Burning man erwarten würde. Mehr aber eben auch nicht. Es wurmt mich ehrlich gesagt ein wenig, dass ich hier einen derartig „unwürdigen“ Text abliefern muss. Auch haben wir die Kamera fast nie dabei gehabt - es ist einfach nicht der richtige Ort, um ein Tourist zu sein. Wer einen etwas besseren Einblick haben möchte findet auf Youtube diverse kurze Videos oder auch Reportagen. Der Großteil dieses Spektakels lässt sich aber eben nicht auf dem Bildschirm erleben.

Mittlerweile haben Vincent und Ich uns wieder teilweise an die Realität gewöhnt und wir sind auf dem Weg zur Westküste. Ob unser Auto die gleichen Intentionen hat ist leider ungewiss… es bleibt spannend!

Gruß, Leckian und Kippis


P.S.: Zum Abschluss noch mal ein paar Bilder aus dem Web:


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