Vor genau 6 Monaten endete meine zweite große Reise. Zeit, ein längst überfälliges Fazit zu schreiben. Nun war ich zwei mal für jeweils 18 Monate weg. Was war
anders als bei der ersten Reise? Was hat sich geändert und welche neuen Erkenntnisse konnte ich sammeln? Wo ist es am schönsten? Was kommt nun? Bevor ich auf die Fragen eingehe gibt es hier
zunächst ein kleines tl;dr meines Trips.
Zusammenfassung meiner zweiten Weltreise (Spoiler Alert *g*)
Anfang Mai 2015 ging mein Flieger nach Island. Spontan ging es mit einer Belgierin in einer kleinen Mietgurke rund um die Insel - eine tolle Zeit.
Über Boston erreichte ich New York und konnte eine Woche am Big Apple naschen, der irgendwie ziemlich stark nach Burger schmeckte. Auf Hawaii wohnte ich bei Julius und seiner Freundin auf Oahu,
habe dort neben kurzen Ausflügen und ein paar heftigen Hikes aber hauptsächlich die Seele baumeln lassen. Kurz vor knapp bekam ich schließlich mein Visum für Kanada und betrat 2 Monate nach
Abflug aus Deutschland erstmals kanadischen Boden in Vancouver. Keine 24 Stunden später hatte ich einen alten V8 Chevy Van unterm Hintern und verbrachte 3 Tage beim Baumarkt und Ikea - das
rollende Zuhause war fertig. Der erste große Roadtrip ging mit Julius durch die westlichen Rocky Mountains bis ins Okanagan Valley. Wir strandeten auf dem wohl wildesten Campingplatz Nordamerikas
und Julius folgte der Liebe an die Ostküste. Auf mich allein gestellt war schließlich wieder alles offen und ich arbeitete für 6 Wochen in einer Packhalle für Früchte im idyllischen Osoyoos. Die
Arbeit war stumpf und die Bezahlung mäßig, doch das internationale Team machte die Zeit zu einem Erlebnis. Große Waldbrände suchten die Region heim und hüllten Alles in dichten Rauch. Die
Ölsaison stand vor der Tür und über Facebook fand ich Anna, die sich mit mir auf einen Roadtrip in den Norden gewagt hat. Von unberührter Natur über wilde Partys bis hin zum Lagerfeuer mit einer
Motorradgang war alles dabei.
Angekommen in Fort St. John begann schließlich ein harter, einsamer Winter für mich. Der Ölpreis war im Keller und der Arbeitsmarkt schwierig. Mein Schlafzimmer war der Parkplatz von Walmart, mein Badezimmer das Schwimmbad und mein Büro war der örtliche McDonalds. Nach langer Suche fand ich schließlich einen Job im Ort als Schweißergehilfe bei einer Pipelinefirma. Doch viel zu tun gab es nicht und beim alleinigen Heben von über 100kg schweren Teilen ging es eines Morgens anstatt zur Arbeit ins Krankenhaus. Die Firma verlor nach einem großen Zwischenfall sämtliche Aufträge, musste aber ihren Ruf wahren und ließ ihre Mitarbeiter im Ungewissen hängen. Nachts wurde es bedrohlich kalt im Auto und ich war kurz vor dem Aufgeben. Doch ich hatte Glück. Erst Wochen lang nur auf dem Hof, dann durfte ich schließlich als „Wassertechniker“ einer anderen Firma in den Busch. Dann wurde der Hase reingemacht, wie Hannes sagen würde. 14 bis 18 Stunden Arbeit pro Tag oder Nacht, Leben in Containercamps mitten im Nirgendwo, große Firmenwagen, extreme Kälte, Abgeschiedenheit, Langeweile, Herausforderungen. Einsame Weihnachten und Polarlichter statt Silvesterfeuerwerk - das volle Programm. Aber in nur 2 Monaten legte ich mehr Geld zur Seite, als ich in den übrigen 16 Monaten der Reise ausgegeben habe. Ende März war dann plötzlich alles vorbei. Noch über Nacht verließ ich Hals über Kopf die Region, mit gefülltem Konto und reichlich Plänen für den kommenden Sommer - diese Fahrt werde ich nie vergessen.
Ich brauchte einige Zeit um wieder auf das normale Leben klarzukommen, verbrachte die nächsten Wochen in wechselnder Begleitung hauptsächlich in und um Vancouver und Victoria. Ähnlich wie damals in Melbourne bildete sich am Jericho Beach um mich herum so langsam eine Kommune. Hier plante ich in Ruhe die restlichen Monate meiner Reise, bzw. klärte ab, wann mich wer wo begleitet. So viel „Planung“ war Neuland für mich. Für den großen Roadtrip bis ans Ende von Mexiko tauschte ich meinen geliebten Van schließlich gegen einen ordentlichen Geländewagen. Mit Talya aus Israel ging es fast 3 Monate lang quer durch den Westen Kanadas. Vancouver Island, Rocky Mountains, Tiefebene. Wir lebten ausschließlich im Auto und blieben einfach, wo es uns gefiel - der Geländewagen fand immer einen Schlafplatz. Einfaches, unbeschwertes Leben ohne Verpflichtungen. Wieder alleine machte ich mich auf in die USA und fuhr bis nach San Francisco, wo ich Ellen nochmal traf und schließlich Vincent vom Flughafen abholte. Zwei Monate cruisten wir zusammen durch den Westen der Staaten, die Baja California hinab bis nach Mexico City. Atemberaubende Landschaften, steile Hikes, ein Treffen mit Anja und der Gang, der total verrückte Burning Man, mexikanisches Chaos und Tacos. No cilandro por favor! Im fliegenden Wechsel kam Julia aus Österreich und wir fuhren 3 Wochen zusammen durch das wilde, unberührte Mexiko bis hin zur paradiesischen Isla Mujeres, wo wir es uns nochmal gutgehen ließen. Zum Abschluss hatte ich noch 10 Tage alleine im Hostel von Cancún, wo ich mühsam mein Auto verkaufte und in internationaler Begleitung ausgiebig das Ende dieser grandiosen Reise feiern konnte.
Dass sind sie, meine letzten 1,5 Jahre in einem Absatz. Wie bereits nach der ersten Reise fällt es mir schwer, für ein Fazit die geeigneten Worte zu finden. Das ist
wohl einer der Gründe, weshalb ich es so lange vor mir hergeschoben habe. Aber irgendwann legt die Kuh ein Ei oder so (hä wat) also here we go:
Im Prinzip hat sich meine durchweg positive Einstellung zum Langzeitreisen nicht geändert. Und obwohl sich meine beiden großen Weltreisen in ihrer Art sehr ähneln, gibt es doch ein paar kleine
Unterschiede. Zunächst hatte ich das ganze etwas anders angegangen: Oneway Ticket anstatt Open Return Paket, Duffle Bag anstatt Rucksack, dicker V8 und Geländewagen anstatt fahrenden
Ersatzteillagern. Ich hatte mir von Anfang an hohe Ziele gesteckt und schon einen ganz groben Plan im Hinterkopf, der schließlich auch aufgegangen ist. Auch hatte ich ein klares Bild vor Augen
von dem, was mich erwartet und wie ich es bewältigen kann.
So wusste ich zum Beispiel bereits, dass ich am liebsten Abschnittsweise zu zweit reise und wie absolut entscheidend ein passender Reisepartner ist. Warum sich also ins soziale Abenteuer stürzen, immer gleiche Kennlernfragen und Geschichten austauschen und für Ungewissheit auf eine garantiert gute Zeit mit bekannten Gesichtern verzichten? Denn wenn täglich alles um dich herum neu, aufregend, spontan und ungewohnt ist, ist es enorm viel wert über den Reisepartner eine gewisse Konstanz zu haben. Und dazu muss man eben auf derselben Wellenlänge sein, sich in weiten Teilen blind verstehen. Da hatte ich wirklich Glück, immer tolle Leute an meiner Seite zu haben!
Ein weiteres Beispiel für Voraussicht und Planung ist die Wahl und der Ausbau meiner Autos. Auch hier wusste ich aus Erfahrung, wie wichtig das mobile Zuhause ist
und habe bereits Wochen im Voraus den Fahrzeugmarkt im Blick gehabt. Irgendwann kennt man sich auch generell besser aus und wenn man schließlich zum fünften oder sechsten mal ein Auto zum Reisen
ausbaut, kann auch dort eine gewisse Routine aufkommen. Es gibt zig weitere Beispiele. Durch dieses Maß an Vorraussicht, bei gleicher Art zu Reisen, habe ich somit wenn man so will ein wenig
Abenteuer gegen Wohlbefinden eingetauscht. Ob dass der richtige Schritt war, weiß ich auch nicht - 10 Schritte weiter wäre ich wahrscheinlich dann einer von den Rentnern, die im umgebauten
Reisebus leben. Es hat beides Vor- und Nachteile, meine nächste Reise würde ich aber wohl wieder etwas spontaner angehen.
Apropos Reisebus, da muss ich mal kurz den Kinofilm ansprechen, der momentan so erfolgreich durch die Medien rollt: Ein Deutscher fährt mit Freundin und Hund von Alaska nach Mexiko. Nun habe ich
ja dieselbe Route (ein wenig größer) in ähnlicher Form „erfahren“ und konnte zudem über Julius auch mal einen Einblick ins Filmgeschäft und in den Aufwand der Realisierung solcher Projekte
werfen. Und da muss ich einfach mal sagen, dass solche Filme als „Insider“, so schön und gut sie auch sind, in keiner Form mehr beeindrucken oder inspirieren. Letztendlich wird dabei die Illusion
verkauft, eine Reise gefilmt zu haben. Die Realität sieht aber so aus, dass der Dreh ein Fulltime Job ist und die „Reise“ eben das Produkt dessen. Nun ist es bestimmt kein schlechter Job und man
erlebt Einiges nebenher, aber es ist eben ein Job und hat nicht mehr viel mit Individualreisen zu tun. Planung und Organisation, Auswertung und Übermittlung gewaltiger Mengen Rohmaterial, Bild
und Tontechnik, Luftaufnahmen… nein, das macht man nicht mal so nebenher am Lagerfeuer. Das Filmprojekt steht jederzeit im Vordergrund und bestimmt den Tagesablauf. Und zum Opfer fallen dabei
genau die Attribute einer Reise, die dem Zuschauer suggeriert werden: Spontanität, Flexibilität, Unbeschwertheit, Freiheit. Das Endprodukt ist daher leider ähnlich Fake wie die Berichte und Vlogs
einschlägiger Youtuber oder die Bilder der ganzen Lifestylespacken an der Filterfront Instagram. Das wollte der Grumpy Grandpa in mir einfach mal loswerden.
Wo ist es am schönsten? Die Frage muss wohl jeder für sich beantworten können. Wenn mit „schön“ gemeint ist, für längere Zeit dort unterwegs sein zu können und ein Leben on the road mit all
seinen individuellen Möglichkeiten zelebrieren zu können, lautet die Antwort für mich nach wie vor Australien. Aber ich habe auch schon viele Weltenbummler getroffen, die Kanada oder Neuseeland
den Vorzug geben würden. Es kommt da wohl einfach auf persönliche Vorlieben und vor Allem auch Erlebnisse an. Hätte sich damals eine Huntsman Spider in meinem Ohr eingenistet (soll ja vorkommen)
würde hier vielleicht etwas anderes stehen.
Mit 34 Blogeinträgen habe ich auf der zweiten Reise nur noch halb soviel geschrieben, wie noch während der ersten Reise. Dabei geht es vielen Globetrottern ähnlich - ein Großteil der Reiseblogs
hört sogar irgendwann abrupt auf und ich bezweifle, dass die Leute alle tot umgefallen sind. Die „Lust am Schreiben“ fehlt, heißt es dann, doch da steckt sicherlich mehr dahinter. Einerseits
sinkt mit der Zeit das Mitteilungsbedürfnis, denn viele allgemeine Dinge wurden bereits gesagt oder werden irgendwann als selbstverständlich vorausgesetzt. Andererseits, und das ist wohl der
kritischste Punkt, entsteht mit der Zeit auch eine gewisse Distanz. Distanz zum „normalen“ Leben, zu Alltäglichem, zu den Menschen daheim. Entscheidend sind dabei nicht die Entfernung, sondern
Lebensumstände und Reisedauer.
Die Lebensumstände verändern den eigenen Fokus und Prioritäten. Auf Reisen erweitert man zudem seinen Horizont weiter und weiter, während Zuhause gefühlt die Zeit
stillsteht. Mit den wirren Gedanken und Erlebnissen eines Langzeitreisenden können Heimgebliebene oft auch einfach nicht viel anfangen. Und was die Reisedauer angeht, kann man bedenkenlos den
alten Omaspruch (Gruß an dieser Stelle :-*) „Aus den Augen, aus dem Sinn“ wieder heraus kramen - es stimmt einfach wirklich, und zwar beider Seiten gleichermaßen. Da juckt es keine Sau, wenn man
nackt durch die Wüste wandert oder sich die Cornflakes brüderlich mit einem Grizzlybären teilt - aber wenn man dann Zuhause eine Runde Motorrad fährt, dann soll man sich doch bitte melden, wenn
man wieder heile angekommen ist. Aber diese Distanz ist nicht verwerflich und liegt wohl einfach in der Natur des Menschen. Meine primäre Schreibmotivation ist ohnehin, die Dinge für mich selber
festzuhalten. Dann kann ich als alter Opa gelegentlich nochmal kurz die Modelleisenbahn an die Seite legen und in meinen vergilbten Reisebüchern blätternd in Erinnerungen schwelgen.
Es gibt noch einen weiteren Faktor, der nicht nur in Bezug auf die Schreibmotivation erwähnenswert ist: Die eigene Messlatte (höhö..) liegt einfach viel weiter oben, als noch zu
Beginn. Im Laufe der (Reise-)Zeit wird man immer schwerer zu begeistern und zu beeindrucken, doch gleichzeitig auch schwerer zu verunsichern oder irgendwie anders negativ zu
beeinflussen. Kurz: man wird abgestumpfter. Baden im Wasserfall, Party am Strand - kennt man ja schon. Auto macht Probleme, Jobsuche ist schwierig - kennt man auch schon. Es mag sich arrogant
anhören, aber irgendwann schwebt über allem eine Art innere Ruhe, entstanden durch Erfahrung und Weitsicht.
Dieselbe Weitsicht kann ironischerweise aber auch Auslöser für innere Unruhe sein. Die kommt bei mir immer dann zustande, wenn ich kein Ziel vor Augen habe. Eine Aufgabe oder Herausforderung
eben, die mich bei Laune hält. So hatte ich auf Hawaii zum Beispiel wenig Lust auf Erkundungstouren, weil ich mich in Gedanken schon auf die harte Zeit im Ölgewerbe einstellte. Da muss wohl jeder
auf seinen eigenen inneren Aristoteles hören, aber so ganz ohne übergeordneten Sinn und Zweck fühlt sich glaube ich jeder Mensch auf Dauer ein wenig verloren. Das eigene Mindset (die Mentalität)
ist letztendlich entscheidend, wie man die Reise empfindet. Das Mindset definiert schließlich den Unterschied zwischen einem Roadtrip und einer Fahrt nach bei zu Ikea.
In Zusammenhang mit den neu gewonnenen Erkenntnissen bleibt noch die Frage, wie ich meine persönliche Zukunft gestalten möchte. Was wird aus dir, Flo? Frau und Kinder, Bürojob und hübsches
kleines Haus mit Kiesauffahrt? Trommeln am Feuer mit eigenem Baumhaus auf Fiji? Trotz demographischem Wandel gestaltet es sich schwierig, einen Kompromiss aus beiden Welten zu finden. Nach wie
vor kann ich mir eigentlich nur die Selbstständigkeit als dauerhafte Lebensbasis vorstellen. Ideen gibt es, Einschränkungen auch - wir werden sehen. Nochmal auf Reise gehn? Irgendwann ganz
bestimmt. Mal wieder ohne Auto los, Südamerika oder Afrika, vielleicht nochmal nach Asien… wer einmal die Freiheit gekrallt hat gibt sie wohl nur ungern wieder ab.
Abschließend möchte ich noch festhalten, dass ich absolut nichts bereue. Langzeitreisen ist immer ein Kompromiss, aber zurückblickend überwiegen die positiven Seiten um ein Vielfaches. Diese 3
Lebensjahre sind weit mehr, als die berühmte Lücke im Lebenslauf. Das Meiste würde ich wieder so machen oder zumindest ähnlich. Ich kann wirklich Jedem, der sich noch irgendwie unsicher ist nur
ans Herz legen den Schritt zu wagen und auf eigene Faust loszuziehen.
Ein großes DANKE nochmal an alle, die meine Abenteuer verfolgt haben. Auch wenn ich noch nicht weiß, wann es hier neuen Inhalt gibt, bleibt der Blog zunächst online. Zum
Abschluss möchte ich nochmal einen kurzen Auszug aus meinem ersten Fazit posten - nämlich der Teil, der sich nicht geändert hat und auch nicht ändern wird:
Reisen in der Form, wie ich es erleben durfte, ist keine Aktivität die man ausführt. Es ist keine Sache, die man gerade macht. Nein, das ganze Leben ändert sich. Die eigene Welt stellt sich sprichwörtlich und auch buchstäblich auf den Kopf und du bist mittendrin. Es gibt keine Kompromisse zwischen Aufgeben und Weitermachen und es ist dein Alltag, dass du keinen Alltag hast. Dabei gibt es genau so viele spannende wie langweilige Momente. Es ist nicht immer Alles spektakulär und außergewöhnlich, und das muss es auch gar nicht sein. Aber die Intensität, Häufigkeit und Variabilität, in der den Reisenden die unterschiedlichsten Gefühle und Gemütslagen aufsuchen steht in keinem Verhältnis zu dem, was man Zuhause empfindet. In den 18 Monaten auf Reisen habe ich mehr gelacht, geweint, gelernt und gedacht als in den 5 Jahren davor. Das liegt nicht nur an den geänderten Umständen, sondern auch der schieren Masse von Indikatoren: Man trifft mehr Leute, hört mehr Geschichten, wird vor mehr Probleme gestellt und fällt mehr Entscheidungen. Das allerwichtigste jedoch: Man ist frei. Nur wer komplett alleine im rollenden Zuhause durch die Landschaft fährt, keine Zukunftspläne und unzählige Möglichkeiten vor sich hat und die Gedanken treiben lässt – nur der weiß, wie sich unbedingte Freiheit in ihrer reinsten Form anfühlt.
Euer Flo
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